Innovation entsteht, wenn eine*r die Regeln bricht und genügend Follower findet. Derek Sivers, einst passionierter Musiker, dann erfolgreicher Musikpromotor, illustriert dies in einem Video am Beispiel Jugendlicher, die auf einer Wiese die Sonne genießen. Einzeln oder in kleinen Gruppen dösen sie vor sich hin bis einer, ohne ersichtlichen Grund, zu tanzen beginnt. Es dauert nicht lange, dann gesellt sich ein Zweiter dazu. Dann ein Dritter. Eine Vierte. Immer schneller füllt sich die Wiese mit Tänzer*innen, bis es auch die letzten Zuschauer packt. Sich im Rhythmus der anderen zu erleben, verschafft einfach mehr Befriedigung als teilnahmslos zu verharren. 

In der Technik ist’s nicht anders. Neue Angebote schaffen neue Nachfrage. Oder, wie Henry Ford es formulierte: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt, schnellere Pferde.“ Und nicht Autos, ließe sich ergänzen. Für Erfindungen braucht es aber nicht notwendigerweise die Genialität Einzelner. Oftmals genügt es, wenn Führungskräfte Raum für Kreation schaffen. Zum Beispiel durch Communities, die Mitarbeitenden die Entwicklung von Ideen ermöglichen. Dabei darf aber die Organisation als Ganzes nicht überfordert werden.

Ambidextrie oder beidhändige Führung bedeutet, die richtige Balance zwischen Kerngeschäft (Exploitation) und Neuentwicklung (Exploration) zu finden. Denn nur wenn das Kerngeschäft, das durch Routinen und bestenfalls inkrementelle Veränderungen geprägt ist, im notwendigen Ausmaß betrieben wird, ist die Basis für eine disruptive Neuerung gegeben. Und es braucht Innovationen! Nokia, Kodak und viele andere sind ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man wichtige Entwicklungen verschläft. War es hier die Obsoleszenz althergebrachter Produkte und Verfahren durch die Digitalisierung, so wird künftig der Klimawandel ein Obsoleszenz-Treiber sein. Und die künstliche Intelligenz.

So wie es Unternehmen gibt, die die Entwicklung verschlafen, gibt es andere, die als Trendsetter gelten können. Intel zum Beispiel. In der schnelllebigen Sparte der Mikroprozessoren ist es ihnen über Jahrzehnte gelungen, an der Spitze der neuesten Entwicklungen zu stehen. Nicht nur, weil die Manager der Zeit voraus waren, sondern auch, weil eine Vielzahl von eigenverantwortlichen und selbstgesteuerten Teams an künftigen Technologiegenerationen forschte. Denn, wie schon Steve Jobs sagte: „It doesen’t make sense to hire smart people to tell them what to do; we hire smart people so they can tell us what to do.“

Diese Kreativitätsräume parallel zum Kerngeschäft müssen organisiert werden. Zentrale Voraussetzung für gelingende Ambidextrie ist das Commitment des Topmanagements. Bei der Entscheidung, ob und in welcher Form beidhändige Führung implementiert wird, können folgende Fragen helfen:

  • Welche Ressourcen können für die Exploration aufgewendet werden?
    Das betrifft sowohl personelle als auch finanzielle Mittel.
  • Wie soll die Exploration organisiert sein?
    Zwei Varianten sind denkbar: Strukturell, indem eine separate Innovationseinheit gebildet wird, die sich ausschließlich mit Exploration beschäftigt. Vorteil ist, dass so der Forscher*innen- und Unternehmer*innengeist leichter zu kultivieren ist. Oder kontextuell, indem Mitarbeiter*innen einen Teil ihrer Arbeitszeit für Exploration aufwenden. Bei GOOGLE können die Beschäftigten bspw. 20% ihrer Arbeitszeit innovativen Themen widmen. Vorteil: Noch breitere Nutzung der kollektiven Intelligenz; und leichteres Ausrollen von Innovationen im Unternehmen, weil die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten breit gestreut sind. Sowohl bei der strukturellen als auch bei der kontextuellen Ambidextrie sind Teams bzw. Communities die Basis der Exploration.
  • Mit welchen Methoden sollen die Teams/Communities arbeiten?
    Wie sollen die „Jagdzonen“ definiert werden, in denen Innovationen entwickelt werden (Megatrends, SDGs, Themen der Wesentlichkeitsanalyse…)?
    Wie soll das agile Management der Communities to Success konkret ausgestaltet sein?
    Welche Reporting-Routinen sind adäquat? Usw.
  • Wie sollen die Innovationen im Unternehmen ausgerollt werden?
    Dabei geht es um die Entwicklung einer Organisationsform, die auf der einen Seite Märkte und Kundenbeziehungen in den Blick nimmt. Und auf der anderen Seite gewährleistet, dass die Möglichkeiten mit den Notwendigkeiten Schritt halten. 

Klar ist, dass in disruptiven Zeiten auch Geschäfts- und Organisationsmodelle neu und disruptiv gestaltet werden müssen. Dafür braucht es eine Vision, wohin die Reise gehen soll. Und Moving Targets als flexiblen Rahmen für die Strategie. Denn das Dictum von der Brücke, die erst dann überschritten wird, wenn man am Fluss ist, gilt auch hier. Community Management zeichnet sich demgemäß nicht durch strikte Vorgaben aus, sondern durch ein umsichtiges Ermöglichen kollektiver Intelligenz.