
Der Klimawandel und die damit verbundene Notwendigkeit der Energiewende und Energieeffizienz machen eine nachhaltige Unternehmensführung unabdingbar. Dass die Reduktion der Treibhausgase nach den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens gelingen muss, steht außer Frage. Nachhaltigkeit ist allerdings weiter gefasst. Auf ökologischer Ebene geht es auch um Artenvielfalt und Umweltverschmutzung. Humanitär soll Chancengleichheit unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht und Behinderung gewährleistet sein; sowie eine gerechte und menschenwürdige Arbeit. Und gesellschaftlich braucht es die für ein lebenswertes Leben notwendige Infrastruktur. Die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) mit ihren 169 Unterzielen bilden diese vielfältigen Dimensionen der Nachhaltigkeit in hoher Granulierung ab. Mit dem SDG Compass wird den Unternehmen ein Leitfaden in die Hand gegeben, wie sie diese Ziele in ihr Business Modell integrieren können.
Der Prozess ist relativ einfach: Aus dem gesamten SDG-Kanon werden jene SDGs herausgegriffen, zu denen das Unternehmen prioritär etwas beitragen will. Sodann werden die Ziele spezifiziert und die dafür notwendigen Schritte festgelegt. Die operative Umsetzung sollte durch die Integration in das Kerngeschäft erfolgen. Das Reporting schließlich dient vor allem der Evaluierung der Effektivität und Effizienz der gesetzten Maßnahmen. Je nach Ist-Soll-Differenz wird dann der nächste Zyklus gestartet.
Die nichtfinanziellen Erklärungen der ATX-Unternehmen zeichnen sich bereits durch eine freiwillige Bezugnahme auf die je relevanten SDGs in Kombination mit den wichtigsten Key Performance Indikators (KPIs) der Global Reporting Initiative (GRI) aus. Zweifel sind allerdings angebracht, ob Nachhaltigkeit dergestalt tatsächlich in das Kerngeschäft und die Governance-Prozesse integriert ist. Am ehesten dürfte das bei dem SDG 13, den Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, der Fall sein. Hierzu gibt es auch schon ein elaboriertes Set von Indikatoren (KPIs). Bei anderen Zielen hat es oftmals den Anschein, als würden sie, obwohl priorisiert, mit weniger Vehemenz verfolgt.
Fast schon disruptiv könnte die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU auf die heutigen Geschäftsmodelle wirken. Reguliert wird darin zwar nur die Offenlegung der Nachhaltigkeitsberichte, aber die dafür vorgesehenen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) bergen einiges an Sprengkraft. Nicht nur sind 400 Datenpunkte als „wesentlich“ definiert und müssen daher jedenfalls publiziert werden. Auch haben die Unternehmen eine sogenannte „Wesentlichkeitsanalyse“ durchzuführen, in der Nachhaltigkeitsaspekte aus zwei Perspektiven zu beleuchten sind:
- Outside-In: Was kommt auf das Unternehmen zu? Gemeint sind damit potenzielle Ereignisse, die für das Unternehmen finanzielle Auswirkungen haben können (financial materiality). Aus dieser Analyse lassen sich sowohl Chancen als auch Risken (Erderwärmung, gesetzliche Restriktionen, Ressourcenknappheit usw.) ableiten.
- Inside-Out: Was verursacht das Unternehmen selbst in seiner Umgebung? Gemeinhin werden darunter vor allem umweltschädliche Emissionen verstanden, tatsächlich betrifft das aber auch die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf die Arbeitnehmer*innen, die Lieferant*innen, die Konsument*innen usw. (impact materiality).
Ob ein Thema „wesentlich“ ist, wird in aufwendigen Due Diligence-Prozessen und Risikoanalysen definiert. Basis dafür ist die Einschätzung der betroffenen Anspruchsgruppen sowie das Urteil interner und externer Expert*innen. Auch die dabei verwendeten Methoden und aufgewendeten Ressourcen sind offenzulegen.
Ist ein Aspekt als „wesentlich“ erkannt – sei es, weil das Unternehmen in seiner Umwelt eine signifikante Wirkung erzielt (Inside-Out) oder wegen der Risken und Chancen (Outside-In) –, so ist festzulegen, mit welcher Politik sich die besten Nachhaltigkeitseffekte erzielen lassen. Welche Ziele lassen sich aus den Anforderungen ableiten? Welche Ressourcen sind notwendig? Und wie sollen die Nachhaltigkeitserfordernisse in das Geschäftsmodell integriert werden? Über all das ist Bericht zu legen.
Die ESRS sind als work in progress zu verstehen. Erst in der Praxis wird sich weisen, wie der hohen Komplexität des Regelwerkes tatsächlich Rechnung getragen werden kann. Vieles wurde im Zuge der Normentwicklung bereits vereinfacht. So findet beispielsweise im Unterschied zu früheren Fassungen (ESRS 1, S. 40) nicht mehr Berücksichtigung, dass die Arbeitskräfte eines Unternehmens eine wichtige Informationsquelle zur Identifikation und Beurteilung von negativen Effekten sein können. Warum auf diese Informationsquelle in der späteren Fassung verzichtet wird, ist nicht nachvollziehbar. Auch deshalb, weil Mitwirkungsoptionen der Beschäftigten akribisch aufgelistet werden, sobald es um die Veränderung der eigenen Arbeitsbedingungen geht. Das Unternehmen hat nämlich nach ESRS S1 (S. 31ff) in einem umfangreichen Katalog Rechenschaft abzulegen, in welcher Form es das Engagement der Belegschaft fördert. Zum Beispiel:
- Wurde deren Engagement durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen unterstützt?
- Welche finanziellen und Human-Ressourcen wurden dafür zur Verfügung gestellt?
- Wie wurden mögliche Barrieren beseitigt, die einer Partizipation hinderlich sein könnten?
- Welche Informationen und welche Expertisen wurden den Beschäftigten zur Verfügung gestellt?
- Wie wurde kontinuierliches Lernen sichergestellt?
- Wurden die Feedbacks der Beschäftigten bei der Entscheidung berücksichtigt?
- Welche Anstrengungen wurden unternommen, um zu gemeinsamen Lösungen zu kommen?
Wenn zukünftige Nachhaltigkeitsberichte die Geschäftspolitik und Unternehmenskultur zu diesen Punkten offenlegen, sollte damit auch der Samen für ein neues Geschäftsmodell gesät sein. Disruptiv hätte dann die Nachhaltigkeitsberichterstattung jenen Impuls gesetzt, der aus Mitarbeiter*innen Mitgestalter*innen macht. Communities to Success können diese Transformation leisten.